„Football in a bubble“

Im Fußballsicherheits-Tourette der Innenminister tauchten in den letzten Jahren immer wieder die Begriffe „Kombitickets“ oder „Niederländisches Modell“ als begehrenswerter Trend im Umgang mit der Anreise von Fußballfans für Auswärtsspiele auf. Wie kommt’s?

Anreisewege von Fußballfans zu Auswärtsspielen sind eines DER Topthemen der Sicherheitsbehörden und -beauftragten im Sport und ihre “Begeisterung” für das Thema treibt immer neue Blüten. Im der vergangenen Saison 2015/2016 fand in Nordrhein-Westfahlen eigens eine nationale Konferenz zum Thema “Fußballfanreiseverkehre” statt. Schon 2014 machte Hannover 96 Schlagzeilen, als der Verein die Anreise zum Niedersachsen-Derby nach Braunschweig in der Saison 2013/2014 ausschließlich in Verbindung mit einer verbindlichen Busfahrt anbieten und Individualanreisen untersagen wollte – das Kombiticket-Modell. Der Verein scheiterte schließlich an den erfolgreichen Klagen einiger Fans vor Gericht. Trotzdem ist das Thema hierzulande noch lange nicht vom Tisch.

KOMBITICKETS AKA BUBBLE MATCHES

Tatsächlich wird das Anreisemodell in Sicherheitskreisen seit einiger Zeit schon als “Best Practice Model” propagiert, welches in anderen Ländern angeblich ein total erfolgreiches Mittel gegen Fangewalt sei. Dann schauen wir uns die Realitäten doch mal an:

In den Niederlanden und in Belgien ist diese Form der Anreise für Gästefans seit vielen Jahren Standard, vor allem für sogenannte “Hochsicherheitsspiele”. In Dänemark wurde die Maßnahme für das FC Kopenhagen v Brøndby Derby praktiziert. Auch in Großbritannien gibt es immer wieder sogenannte “Bubble Matches”, zuletzt traf es im Januar 2017 die Fans von Wrexham. Fans von Vereinen wie Wrexham, Chester, Burnley und Blackburn konnten zum Großteil seit 2013 nicht mehr individuell zu ihren Spielen anreisen. Auch den Fans größerer englischer Vereine wie Cardiff City, Newcastle United oder Sunderland drohen immer wieder ‘Bubble Matches’, insbesondere zu Derbies.

DAS KOMBITICKET – DIE ARSCHKARTE FÜR FANS VON AUSSERHALB

Nun könnte Fan fragen, ob es nicht ohnehin so ist, dass die meisten Fans zu Auswärtsspielen gemeinsam anreisen und das ohnehin am meisten Spaß macht, ala „der Weg ist das Ziel“. Auch werden die meisten verfügbaren Auswärtstickets im Fanladen St. Pauli bspw. bei Sonderzugfahrten nur in Kombination mit der Anreise im Zug verkauft.  Praktizieren wir also im Grunde schon ein Kombiticket-Modell light? Was genau ist denn da anders – wo genau liegt das Problem im Niederländischen Modell?

Ein Praxisbeispiel der Extreme macht es deutlich: Fan stelle sich vor, Ajax Amsterdam muss auswärts gegen PSV Eindhoven ran. Tickets gibt es nur personalisiert über den offiziellen Fandachverband als Voucher für Mitglieder zu kaufen und nur in Kombination mit einer verbindlichen Bus- oder „Auto-Kombi“-Reise ab dem Stadion in Amsterdam. Fan stelle sich weiter vor, er oder sie ist Ajax-Fan, lebt aber nicht in Amsterdam sondern in einem Vorort von Eindhoven. Ähnlich wie der FC St Pauli, hat Ajax Amsterdam Fans im ganzen Land.  Möchte der Ajax-Fan ein Auswärtsspiel seines Vereins in Eindhoven besuchen muss Fan also ca 2 Std zum Stadion nach Amsterdam fahren, dort in den Fanbus steigen oder sich einem Autokorso anschließen, seinen Ticketvoucher (bspw gegen Vorlage eines Fan-Ausweises) bei Abfahrt einlösen und 2,5 Std inkl. Pinkelpause nach Eindhoven fahren. Dort das Spiel sehen, zurück in den Bus/das Auto – im Korso wieder 2,5 Std später in Amsterdam angekommen, und dann geht’s wieder knapp 2 Std mit Zug oder Auto zurück nach Hause im Vorort von Eindhoven.

Eine Möglichkeit zur alternativen Anreiserouten im Zug oder Auto oder Abholung des Tickets vom Ajax-Fandachverband am Stadion in Eindhoven gibt es schlicht nicht. Kurzfristige Rückgabe oder Übertragung der Ticketvoucher etc aufgrund von Krankheit etc sind in der Regel unmöglich. Ach ja, und die Pinkelpausen der Fanbusse sind von der Polizei über die gesamte Strecke vorgegeben. Auf diese Weise soll lt Polizei sichergestellt werden, dass sich keine potenziellen und vor allem namentlich nicht bekannte Gefahrensucher in die Busse schleichen und sich z.B. auf Autobahn-Raststätten möglichst keinerlei Fanreisewege unterschiedlicher Vereine kreuzen. Anders gesagt: alle Fans werden mit potenziellen Gewalttätern gleichgesetzt und auch so behandelt – willkommen im Circus Halligalli der Sippenhaft.

KEINE AUSWÄRTSFANS – KEIN PROBLEM?

Nun sind die Niederlande wahrlich kein großes Land und Reisewege verhältnismäßig kurz. Auch in Belgien oder England sind Auswärtsfahrten, die hin- und zurück insgesamt länger als 6 Stunden dauern, aus Sicht dortiger Fans fast gleich einer Fußball-Europatournee.

Nichtsdestotrotz hat das Kombiticketmodell bereits dort deutliche Auswirkungen auf das Auswärts-Reiseverhalten der Fanszenen im ganzen Land und auch darüber hinaus auf ihre Selbstorganisation untereinander: sehr vielen Fans ist der logistische Aufwand aufgrund der Restriktionen viel zu hoch und sie fahren schlicht kaum bis gar nicht mehr auswärts. Gerade das sicherheitspolitisch ach so hoch als schutzbedürftig gepriesene Familienpublikum unter den Auswärtsfans ist massiv geschrumpft. Es bleibt nurmehr ein „harter Kern“ der loyalsten Fans, die sich den repressiven Reisevorgaben Woche um Woche beugen, um ihr Team auch auswärts unterstützen zu können.  Gerade Vereine mit ohnehin kleiner Fanbasis leiden darunter massiv, während größeren Vereinen die Restriktionen zur „natürlichen“ Regulierung hoher Ticketnachfragen eher entgegenkommen.

Ein weiterer Effekt des „Best Practice Models“ ist der, dass die Fantrennung nahezu „perfekt“ ist: es finden in einem Spieltagskontext quasi keine Begegnungen unter den gegnerischen Fans mehr statt.  Da muss Fan kein Psychologe sein, um zu mutmaßen, dass Selbstregulierung innerhalb der Szenen dadurch geschwächt wird und sich Feindseligkeiten gerade unter rivalisierenden Gruppen auch außerhalb des Spieltags eher verstärken als in (gewollten oder ungewollten) Freundschaftsschals aufzulösen.

Die zentrale Frage bzgl der Sinnhaftigkeit der Maßnahme beantwortet sich dadurch mehr oder weniger von selbst: führt das Kombiticket-„Modell“ nachweislich zur Eindämmung von Fangewalt? Dagegen spricht die Tatsache, dass in Belgien gruppenbezogene gewalttätige Auseinandersetzungen seit vielen Jahren auf gleichbleibend niedrigem Niveau sind, die fußballbezogenen Verurteilungen laut offiziellen Statistiken des Innenministeriums aufgrund anderer Delikte aber dennoch steigen. In den Niederlanden waren allein in der letzten Saison über 85% aller Spiele mit Kombiticket-Reiserestriktionen für Auswärtsfans belegt. Zwar ist das ein Rückgang im Vergleich zur Vorsaison (90%). Allerdings wurden zusätzlich zu den „alltäglichen“ Kombiticket-Fahrten auch 6 komplette Auswärtsfahrverbote ausgesprochen.

WAS TUN? WIE GEHEN DIE ORGANISIERTEN FANS DAMIT UM?

Kein Wunder also, dass organisierte Fans in den betroffenen Ländern – milde ausgedrückt – mehrheitlich nicht begeistert sind vom Kombiticket-Modell und es immer wieder zu Protesten kommt, wie bspw in England. Dort gehen Fans auch immer wieder – ähnlich den Hannoveraner Fans 2014 – mit Rechtsmitteln gegen Bubble Matches vor. In Belgien war die Unzufriedenheit der organisierten Fans mit der Regelung sogar Initialzündung für die Gründung der nationalen Fanorganisation Supportersfederatie Profclubs (heute Belgian Supporters), ebenso wie jüngst in den Niederlanden für das Supporterscollectief Nederland.

Dennoch – die Maßnahme ist in den Benelux-Ländern schon so lange Normalität, dass unter den eher konsumorientierten Fans leider auch ein gewisser Gewöhnungseffekt zu spüren ist. So soll es dort auch Fandachverbände einzelner Clubs geben, die dem Kombiticket-Modell sogar eher positiv gegenüberstehen, da sie die Kombiticket-Busreisen und Getränkeverkäufe in ihren Bussen als willkommene reguläre Einkommensquelle und Mitgliederwerbung nutzen….

WAS WÄRE WENN….

… der FC St Pauli das nächste Mal nach Heidenheim müsste und die Südzecken, die St. Pauli Mafia aus NRW oder diverse USP-Sektionen erst nach Hamburg müssten, um in Fanladen-Buskorsos überhaupt zum Spiel kommen zu können? Undenkbar? Sicher – das Bus-Kombiticket-Modell ist so in Deutschland nicht realistisch umsetzbar. Die schiere Anzahl reisender Fans in den ersten drei Profiligen ist höher, die Überwachung und Fantrennung auf der vielfach höheren Anzahl an Raststätten viel komplexer, von den unterschiedlichen Einsatzkonzepten und Zuständigkeiten der Polizeikräfte der Länder ganz zu schweigen.

Was aber ist mit Übertragung des Modells auf den Zugverkehr? Denn genau das wurde durch die Blume auf der bereits eingangs erwähnten NRW-ÖPNV-Sicherheitskonferenz letztes Jahr diskutiert: „Wir brauchen separate Fußballfanverkehre“, sagt NRW-Verkehrsminister Michael Groschek. Durch den Einsatz von sogenannten „länderübergreifenden Fußball-Zusatzzügen“ sollen Fahrgastströme separiert werden und Fans verschiedener Vereine auf ihrem Reiseweg nicht aufeinandertreffen. Ein erstes Pilotprojekt mit 23 länderübergreifenden Zügen des Landes NRW lief angeblich erfolgreich. Groschek gab deshalb an, das Thema auch in Zukunft offensiv angehen zu wollen und sich mit den beteiligten Akteuren an einen Tisch zu setzen und eine gemeinsame Lösung zu finden. Fanvertreter*innen wurden zu dieser Lösungsfindung bisher (selbstverständlich?) nicht eingeladen.

Fazit: es gilt wachsam zu bleiben – klar ist es für uns als Fans oft netter, nur „unter uns“ und gemeinsam zum Spiel zu kommen. Aber nur noch „Football in a Bubble“? Mal ganz abgesehen von rechtlichen Fragen der Einschränkung der Bewegungsfreiheit aller Fans – wir sollten uns schon am Beispiel anderer Länder nicht einlullen lassen zu glauben, dass das die Lösung bestehender Probleme wäre. Im Gegenteil.