Am 09. Februar 2025 ging es für rund 800 Anhänger*innen des FC St. Pauli mit dem Sonderzug von Hamburg zum Fußballspiel ihres Vereins nach Leipzig. Abgesehen von dem gemeinsamen Erlebnis der Fahrt bot die Partie beim Konstrukt RB weder Anlass zur großen Freude noch eine besondere Aufregung. Die heimische Fanszene aus Leipzig galt und gilt vielen Anhänger*innen des FC St. Pauli schlicht als zu nebensächlich. Entsprechend verlief die Fahrt entspannt und überaus gelassen, die Stimmung im Zug war freudig und durchweg positiv.
Ganz anders zeigte sich jedoch die Lage bei Ankunft des Zuges am Leipziger Hauptbahnhof. Von Entspannung und Gelassenheit konnte hier keine Rede mehr sein: Die Fans waren unmittelbar mit einem großen Aufgebot an voll ausgerüsteten Polizeibeamt*innen konfrontiert. Augenscheinlich zählten viele der eingesetzten Polizist*innen zu sogenannten „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten“ (BFE) – speziell ausgebildete Beamt*innen, welche für ihr eskalatives Auftreten und ihre übermäßige Gewaltanwendung im Amt bekannt sind. Die Stimmung änderte sich direkt – Polizist*innen mit der Hand an der Dienstwaffe, die Granatpistole HK 69 offen zur Schau tragend.
Das massive und provozierende Auftreten der Polizei war nur die Ankündigung für die darauffolgenden Aggressionen gegenüber St. Pauli-Fans. Das jetzt vorliegende Bild ist erschütternd. Es gibt zahlreiche Berichte, Fotos und Videos von anwesenden Personen, in denen diese unabhängig voneinander die gleichen negativen Erfahrungen mit der Polizei dokumentieren. Auch waren wir als Braun-Weisse Hilfe selbst mit Vertreter*innen vor Ort. So lässt sich anhand der Augenzeug*innen das Geschehen im Weiteren detailliert rekonstruieren.
Ankunft in Leipzig
Die Hamburger Fans hatten noch nicht einmal den Bahnsteig verlassen, da tätigte die Polizei bereits die ersten körperlichen Angriffe: Es wurde geschubst, gedroht, wahllos um sich geschlagen und schlussendlich sogar mit gestrecktem Bein in die Ansammlung von Fans gesprungen. Damit aber nicht genug wurde Fans unangekündigt direkt und gezielt ins Gesicht geschlagen. Das Dokumentieren der Vorfälle versuchten Polizist*innen mit (Gewaltan)Drohungen und dem Herunterschlagen von Handys zu unterbinden. Anscheinend war die unabhängige Dokumentation des eigenen Auftretens von Beginn an nicht gewünscht.
Auch im Nachgang konnte sich keine der anwesenden Personen erklären, was der Anlass für den Einsatz gewesen sein könnte – so war man doch gerade erst friedlich aus dem Zug gestiegen. Auf dem Weg aus dem Bahnhof heraus sperrte die Polizei drei der vier Ausgänge ab und verengte so künstlich die Ausgänge. Dadurch kam es zu weiteren Verzögerungen und Menschen mussten sich unnötig dicht gedrängt vorwärts bewegen. Auch hier kam es zu Beleidigungen, Drohungen und körperlichen Übergriffen von Polizist*innen gegenüber Fans. An dieser Stelle sei nochmal explizit erwähnt, dass sich die Anhänger*innen des FC St. Pauli zu jedem Zeitpunkt besonnen, solidarisch und deeskalierend verhielten. Nur dadurch wurde verhindert, dass weitere Menschen zu Schaden kamen (abgesehen von denen, welche Verletzungen durch die unmittelbaren körperlichen Misshandlungen seitens der Polizei erlitten).
Die Braun-Weisse Hilfe erreichten viele Berichte über den Verlauf des Spieltages. Ihnen allen ist gemein, dass die Personen das Verhalten der Polizei von Beginn an als eskalativ, aggressiv und völlig überzogen beschreiben. Eine anonyme Meldung beschreibt den Empfang durch die Polizei wie folgt: „Die Polizei war auf Eskalationskurs. Es wurde von Beginn an eine riesen Drohkullisse [sic!] inszeniert. Brutal wurden Menschen teilweise aus der Masse gerissen, dabei hat die Polizei auch nicht vor Frauen und Kindern in der Masse zurückgeschreckt, im Gegenteil: Es wurde alles in Kauf genommen, um die Leute rauszureißen. Auch sehr auffällig für mich war die Art der Polizisten zu reden, dabei fielen Sätze wie: „Komm mal mit mir mit, dann gib‘ ich dir richtig“, oder „Warte ab, du wirst auch noch sehen.“ und noch weitere ähnliche Formulierungen.“
Es bleibt unerklärlich, welche Einschätzungen der Polizei diese unverhältnismäßige Gewalteskalation rechtfertigen könnten. Solche Einsätze werden im Vorfeld detailliert geplant. Dieses Vorgehen ist weder zufällig noch unbeabsichtigt.
Der brutale Empfang sollte allerdings nur der Anfang der polizeilichen Gewaltspirale an diesem Tag sein. Auch nach Ankunft am Stadion behielten die Polizist*innen ihre aggressive Haltung bei. Während der Einlasskontrollen wurden mehrere Personen unvermittelt und brutal zu Boden gebracht und dort fixiert. Den Betroffenen wurde dabei u.a. die Schulter ausgekugelt und ihnen wurde gegen Kopf sowie Körper getreten, während sie bereits auf dem Boden lagen. Trotz ausbleibender Gegenwehr dauerte die Fixierung an, die Polizist*innen wandten dabei sog. Schmerzgriffe an. Den betroffenen Fans wurde zum Vorwurf gemacht, sie hätten Sticker nicht schnell genug aus den Taschen hervorgeholt und einen Griff in die Jackentasche durch den Ordnungsdienst abgelehnt. Dies genügte den anwesenden Polizeibeamt*innen, um die Menschen auf den Boden zu werfen, ihnen Schmerzen zuzufügen und mind. noch eine unbeteiligte Frau* zu attackieren.
Der Tiefpunkt erwartete die St. Pauli-Fans jedoch bei der Rückkehr zum Hauptbahnhof. Nachdem bereits der gesamte Spieltag von Gewalt und Schikane gezeichnet war, sollten sich kurz vor dem Antritt der Heimreise noch einmal erschütternde Szenen abspielen. Während die Polizei erneut die Eingänge künstlich verengte und 800 Menschen durch einen einzigen Eingang in die Bahnhofshalle lenken wollte, griffen Trupps aus mehreren Beamt*innen die Gruppe körperlich an. Einzelne Personen wurden unter massiver Gewaltanwendung aus den dicht gedrängt stehenden Menschengruppen gezogen. Dabei kamen Unbeteiligte, darunter auch Kinder, zu Schaden. Rücksicht wurde auf keine der umstehenden Personen genommen, welche aufgrund der beengten Situation in der Bahnhofshalle keine Möglichkeiten hatten, sich vor der eskalierenden Polizei in Sicherheit zu bringen. Hinzu kamen Polizeiketten, die die Menschen einkesselten und jeden Fan, welcher versuchte, den Ort zu verlassen, wieder zurück in die Menge schubsten. Die Personen, die durch das aggressive und gefährliche Verhalten der Beamt*innen herausgezogen wurden, wurden am Boden oder an einer Wand fixiert und währenddessen durch Schläge oder Tritte körperlich misshandelt. Hierbei wurde sich auch auf den Kopf- bzw. Genickbereich von bereits am Boden fixierten Fans gekniet. Die Dokumentation versuchten Polizist*innen auch hier zu unterbinden.
Betroffen von diesen Maßnahmen waren u.a. Fans, denen vorgeworfen wurde, Sticker mit sich zu führen. Inwiefern das Mitführen von Stickern wiederholt eine solche Brutalität und Rücksichtslosigkeit erklären soll, ist nicht die einzige große Frage dieses Tages.
Offen bleibt vor allem, wieso ruhige und besonnene Fans durch die Polizei provoziert und attackiert wurden. Warum beleidigte sie Fans durchgehend, etwa mit „Scheiß St. Pauli“ oder als „antideutsches Gesocks“? Warum schlug und misshandelte sie immer wieder einzelne Fans, offensichtlich völlig grundlos? Warum war sie nicht bereit, das eigene Handeln unabhängig dokumentieren zu lassen und verhinderte aktiv Videoaufnahmen? Warum verzichtete sie praktisch gänzlich auf eine Kommunikation während des Einsatzes, abgesehen von diskriminierenden Beleidigungen und Drohungen? Wir werden diesen Fragen weiter nachgehen, denn wir glauben nicht an das Fehlverhalten einzelner Polizist*innen. Dieser Einsatz war geplant und das polizeiliche Auftreten so gewollt.
Die Fanhilfe des FC St. Pauli hält den gesamten Polizeieinsatz für unverhältnismäßig und ausnahmslos rechtswidrig. Es ist beschämend, dass körperliche Misshandlungen durch die Polizei an diesem Tag keine Ausnahmen, sondern das von der Polizei verfolgte Programm waren. Wir fordern daher eine bedingungslose Aufklärung seitens der verantwortlichen sächsischen Politik.
Unser Mitgefühl gilt allen Betroffenen.
Lasst eure Verletzungen ärztlich dokumentieren, schreibt ein Gedächtnisprotokoll und meldet euch bei der Fanhilfe. Bleibt stark, die Braun-Weisse Hilfe ist an eurer Seite – Sankt Pauli hält zusammen!
Braun-Weisse Hilfe | Februar 2025
An diesem Punkt sollen zum Abschluss diejenigen zu Wort kommen, die selbst betroffen waren oder diese unbegreifliche Eskalation miterlebt haben. Die Zitate stammen aus unserem Fan-Feedback:
„So etwas habe ich noch nie erlebt. Mit gezielter Gewalt – es wirkte so, als würde nur drauf gewartet werden– griff die Polizei mehrfach an. Komplett unnötig, es war ja total friedlich und entspannt“
„Unfassbare Polizeigewalt!! Von der Ankunft am HBF Leipzig an trat uns die Polizei aggressiv und feindlich Gegenüber. Auf dem Hin und Rückweg wurde dann grundlos und ohne Warnung wild in größere Gruppen reingeprügelt. Auf Kinder und unbeteiligte Menschen wurde bei den Prügelattacken der Polizei überhaupt keine Rücksicht genommen.“
„Ich wurde von Beamten geschlagen wie getreten, obwohl kein genauer Sachverhalt klar war. Ich stand einfach nur vorne“
„Ich stand mit einem Kollegen dann unfreiwillig in der ersten Reihe und wir wurden direkt aggressiv zurückgeschubst obwohl keiner irgendwas gemacht hat, daraufhin hat ein Polizist meinen Freund zweimal hintereinander einfach getreten obwohl er mit Händen erhoben zurückgegangen ist.“
„Vollkommen überzogener Einsatz der Polizei. Faustschläge ins Gesicht, wahllose Tritte gegen eine vollkommen heterogene Gruppe ohne Vorwarnung. Kein erkennbares Ziel der Gewalt. Aufgeputschtes Gehabe und dabei noch ein Lächeln im Gesicht.“
„Rohe Gewalt bei der Ingewahrsamnahme von St. Pauli Fans. Knie auf dem Kopf und Tritte bei einer am Boden liegenden Person.“