Es ist inzwischen knapp über 6 Monate her, da sorgten Bilder eskalierender Polizist:innen beim Hamburger Derby für bundes- und europaweite Aufmerksamkeit. Über das Ausmaß der Polizeigewalt zeigten sich viele Fans erschrocken und übten öffentlich Kritik. Auch wir als Fanhilfe meldeten uns zu Wort (Die unerträgliche Polizeigewalt beim Hamburger Derby – ein strukturelles Versagen?! ; Das Hamburger Derby – ein aktueller Stand der Fassungslosigkeit)
Inzwischen steht fest: „Im Zusammenhang mit dem Einsatz wird [weiterhin] gegen [nur] einen [!] Beamten der Bundespolizei wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt“ (BT-Drucksache20/6512). Der sich im Dienst befindliche Beamte sieht sich zwar mit disziplinarrechtlichen Maßnahmen konfrontiert, muss diese aber erst einmal nicht fürchten, da diese solange ruhen, bis die strafrechtlichen Ermittlungen beendet sind. Mit anderen Worten: auf Nichts -folgt Nichts!
Die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei Martina Renner (Die Linke – MdB) äußerte sich in diesem Zusammenhang ebenfalls gegenüber der Braun-Weissen Hilfe: „Die Bundespolizei wäre unabhängig von den laufenden Ermittlungen gegen einen Beamten mit dem Vorwurf der mutmaßlichen Körperverletzung im Amt gut beraten, den Polizisten in den Innendienst zu versetzen, bis die strafrechtlichen Ermittlungen abgeschlossen sind. Es ist nicht zu verantworten, dass sich der Beamte weiter im normalen Dienst befindet und dieser beim nächsten Heimspiel des FC St. Pauli zum Einsatz kommen und erneut auf Betroffene treffen könnte. Fälle von Polizeigewalt, wie beim Derby FC St. Pauli gegen den Hamburger SV im Oktober 2022, bei dem mehrere Personen verletzt wurden, zeigen wie wichtig die öffentliche Debatte über Polizeigewalt und den Umgang damit ist. Bis heute dauern Disziplinarverfahren viel zu lange, im Schnitt 45 Monate. Und oft genug werden diese verschleppt. Zudem fehlen klare inhaltliche Vorgaben im Gesetz, welche Vergehen wie zu ahnden sind.“
So gibt es bspw. bis auf Bremen keine unabhängige staatliche Instanz (Polizeibeauftragte) die sich auch mit strukturellen Defiziten bei der Polizei beschäftigt. Es bleibt kritischen Medien, Wissenschaftler*innen und einer aktiven Zivilgesellschaft überlassen die Polizei im Auge zu behalten und auf Missstände sowie Fehlentwicklungen hinzuweisen. „Keine unabhängige staatliche Instanz fragt danach ob der polizeiliche Umgang mit Fußballfans oder Demonstrierenden angemessen ist“, so Polizeiforscher Alexander Bosch gegenüber der Braun-Weissen Hilfe. Statt einer professionellen Fehlerkultur, scheint sich hier vielmehr das ‚Feindbild‘ Fußballfan bei der Polizei zu etablieren – schade.
Auch bleibt wohl ungeklärt, woher Teile der (Hamburger) Boulevard-Medien die personenbezogene Daten eines Fans bezogen. Der Hamburger Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) ließ gegenüber der Braun-Weissen Hilfe verlautbaren, dass „die Protokollauswertung bei der Polizei Hamburg […] keine weiteren Ansätze der Aufklärung eines möglichen Verstoßes ergeben“ hätten. Dementsprechend würde eine weitere Beschwerdeverfolgung nicht geschehen, denn „auf den fraglichen Datensatz [wurde] zwar nur durch eine Person zugegriffen“, aber für diesen Zugriff gebe es eine schlüssige „dienstliche Veranlassung“.
Doch fällt erneut auf, dass die Hamburger Polizei die öffentliche Deutungshoheit rund um das Spieltagsgeschehen zu beanspruchen sucht. Etwa wie zuletzt mit einem exklusiven (Boulevard)Medienzugang. Auch wenn das offizielle Presseportal nichts der Gleichen zu berichten vermochte, das Narrativ der professionell auftretenden Zivilpolizist:innen war gesetzt (Beobachtungen eines Derbys). Ob es sich halten lässt, bleibt abzuwarten. So musste die Polizei Hamburg zuletzt eingestehen, dass schon ein Drittel der 117 Ermittlungen, vom Derby im Oktober 2022, ihrerseits eingestellt wurden.
Für eine pluralistische Medienkultur, mit einer lauten fanpolitischen Stimme!
Sankt Pauli hält zusammen!
Braun-Weisse Hilfe | Mai 2023