Ein weiterer Schritt zur Dystopie der Fankultur

We are ready for the Weekend [sic!]“ schrieb die Bundesbereitschaftspolizei am 15. März in einem Beitrag auf der Plattform „X“. Zusammen mit der Ankündigung „rund 2800 Einsatzkräfte […] wieder […] bei Fußballspielen präsent“ zu haben. Untermalt wurde dies mit einem Foto, darauf zu sehen: Drei Polizist*innen, volle Einsatzmontur, hinter ihnen ein Wasserwerfer. 
Wie eine solche, martialisch wirkende „Bereitschaft für das Wochenende“ aussieht, mussten dann auch direkt Fans des FC St. Pauli einen Tag später erfahren, welche sich gerade auf dem Rückweg vom Auswärtsspiel aus Nürnberg befanden. Die Stimmung war nach dem 2:0 Sieg ausgelassen und entspannt, so schildern es Fans gegenüber der Fanhilfe.

Raucherpause?!

Bei einem planmäßigen Halt am Bahnhof Göttingen, begaben sich einige St. Pauli Fans auf den Bahnsteig, um zu rauchen und frische Luft zu schnappen. An einem Gleisbereich kam es im Anschluss wohl zu Wortgefechten mit anderen Personen. Warum dies geschah ist bisher jedoch ungeklärt. Die Polizei gibt an, es habe sich um Augsburger Fans gehandelt. Ob dies der Fall war, blieb ebenfalls unklar, da die Personen keinerlei Fanbekleidung trugen. Die auf dem Bahnsteig anwesenden Polizist*innen zogen schnell eine Polizeikette und setzten unverzüglich Pfefferspray ein.  Zu einem Aufeinandertreffen beider Lager kam es zu keinem Zeitpunkt, jedoch soll es vereinzelt zu Flaschenwürfen gekommen sein. Ob dies tatsächlich zutrifft, ist bisher abschließend nicht geklärt. Die Polizei selbst gibt jedoch an, dass keinerlei Verletzte zu verzeichnen waren. Es bleiben hier also viele Fragen offen.
Klar ist, die St. Pauli Fans ließen sich richtigerweise nicht auf weitere Provokationen ein und bestiegen den Zug erneut. Zu diesem Zeitpunkt schien die Situation voll geklärt und befriedet.

Das Geschehen von Hannover

Umso erstaunlicher war der Anblick, welcher sich den St. Pauli Fans am folgenden Stopp am Bahnhof Hannover bot. Etliche vollvermummte und behelmte Kräfte der Bundespolizei warteten bereits auf dem Bahnsteig, vielen Fans wurde dort schon mulmig.
Und die Befürchtung sollte sich bestätigen: Ein Sprecher der Bundespolizei betrat den Zug und ließ über die Lautsprecheranlage verlauten, dass er für mehrere vollständige Waggons sowie die Menschen im Bordbistro Zitat „einen Platzverweis für den ICE ausspreche und alle aufgefordert seien, den Zug zu verlassen. Die Bundespolizei ist zwar berechtigt, nach §38 BPolG „eine Person vorübergehend von einem Ort [zu] verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes [zu] verbieten„, aber nur „zur Abwehr einer Gefahr. Ob hier eine solche überhaupt weiterhin bestand, ist aus Sicht der Braun-Weissen Hilfe äußerst zweifelhaft!
Der ausgesprochene Platzverweis betraf neben den St. Pauli Fans auch zahlreiche andere Mitreisende, die sich aufgrund ihres Sitzplatzes in einem der zuvor genannten Waggons aufhielten. Da der gesamte Zug an der Weiterfahrt durch die Polizei gehindert wurde, mussten auch alle anderen Reisenden warten oder auf alternative Routen ausweichen. 

Die ca. 200 St. Paulianer*innen sahen sich dabei weiterhin mit einem massiven Polizeiaufgebot konfrontiert. Schlussendlich entschloss man sich dazu, auch um eine weitere Eskalation zu vermeiden, den Zug gemeinsam zu verlassen. Als vor Ort anwesende Braun-Weisse Hilfe boten wir dabei eine durchgehende rechtliche Unterstützung an und begleiteten die polizeilichen Maßnahmen kritisch. Nach ca. drei Stunden endeten diese. Alle männlichen St. Pauli Fans wurden einer Sichtkontrolle unterzogen, bei einer einstelligen Anzahl wurden zudem die Personalien aufgenommen, Bildaufnahmen angefertigt und die Personen anschließend durchsucht. Die Polizei nutzte hierfür anscheinend Bildmaterial zum Abgleich.

Was bleibt?

Ein ICE, welcher ca. 2,5 Stunden am Bahnsteig in Hannover wartete. Zahlreiche Reisenden, die verspätet ihr Reiseziel erreichten und eine unverhältnismäßige polizeiliche Maßnahme, die zudem noch auf einer rechtlich zweifelhaften Begründung basierte. Hier bleibt zu fragen, war diese polizeiliche Maßnahme in dieser Form wirklich nötig und war sie verhältnismäßig? Für uns als Fanhilfe müssen wir konstatieren, nein. Vielmehr wurden hier Fußballfans kollektiv unter Generalverdacht gestellt. Der vermeintliche Auslöser rechtfertigt u.A.n. nicht die darauffolgenden polizeilichen Mittel! Alles in allem wirkt die Maßnahme wie ein weiteres Übungsszenario für die anstehende Europameisterschaft im Sommer. Oder um es noch einmal mit den Worten der Bundesbereitschaftspolizei zu sagen: „We are ready for the Weekend [sic!]„.

Ein großer Dank gilt jedoch noch allen anwesenden St. Pauli Fans, für ihr äußerst besonnenes und deeskalatives Verhalten. Sie verhielten sich genau richtig und gaben nur die nötigsten Informationen an, legten mündlichen Widerspruch gegen die Maßnahme(n) ein und unterschrieben nichts – weiter so!

Sankt Pauli hält zusammen!

Braun-Weisse Hilfe | März 2024