Polizeigewalt in Leipzig – Die Suche nach Antworten und Aufklärung geht weiter

Die Chronologie von Leipzig

In den vergangenen Wochen blieb die Fanhife nicht untätig, so wurden inzwischen drei parlamentarische Anfragen durch Die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag zum Polizeieinsatz vom 9. Februar 2025 gestellt und durch das Sächsische Staatsministerium des Innern beantwortet (Drs-Nr. 8/2115; 8/1766; 8/1705). Alle Anfragen stellen Versuche dar, den Polizeieinsatz und die damit verbundene übermäßige Gewaltanwendung durch Polizist*innen im Amt gegenüber St. Pauli-Fans aufzuarbeiten.

Wie im Statement der Braun-Weissen Hilfe vom 13. Februar dokumentiert, kam es beim Spiel des FC St. Pauli gegen RB Leipzig bereits bei der Ankunft am Hauptbahnhof in der sächsischen Messenstadt zu eskalativer und unbegründeter Polizeigewalt.

„Die Hamburger Fans hatten noch nicht einmal den Bahnsteig verlassen, da tätigte die Polizei bereits die ersten körperlichen Angriffe: Es wurde geschubst, gedroht, wahllos um sich geschlagen und schlussendlich sogar mit gestrecktem Bein in die Ansammlung von Fans gesprungen. Damit aber nicht genug wurde Fans unangekündigt direkt und gezielt ins Gesicht geschlagen. Die Dokumentation der Vorfälle versuchten Polizist*innen mit (Gewaltan)Drohungen und dem Herunterschlagen von Handys zu unterbinden. Anscheinend war die Dokumentation des eigenen Auftretens von Beginn an nicht gewünscht.

Auch im Nachgang konnte sich keine der anwesenden Personen erklären, was der Anlass für den Einsatz gewesen sein könnte – so war man doch gerade erst friedlich aus dem Zug gestiegen.“ 

Polizeiwillkür? Wie geht es weiter?

Das willkürliche Vorgehen der Polizei stellte die Fanhilfe vor eine ganze Reihe von Fragen. Einige davon kamen auch bei Abgeordneten wie Juliane Nagel (Die Linke) im Sächsischen Landtag auf. Sie und andere Abgeordnete stellten parlamentarische Anfragen zu dem Polizeieinsatz vom 9. Februar und forderten (unter anderem) Auskunft über: 

  1. die dem Einsatz zugrundeliegende Gefahrenprognose;
  1. die Ausrüstung der Polizei;
  1. die vermeintlichen Straftaten durch St. Pauli-Fans;
  1. den angewendeten unmittelbaren Zwang.

 

1. Die zugrundeliegende Gefahrenprognose 

Der Sächsischen Staatsregierung zufolge wurde das Verhältnis beider Fanlager zuvor als neutral eingestuft. Es wurde nicht von „Störungen bzw. Auseinandersetzungen zwischen den jeweiligen Fanlagern“ ausgegangen. Lediglich der „Einsatz von Pyrotechnik hauptsächlich durch Gästefans wurde während der Anreise-, Abreise und Spielphase“ ggf. erwartet. Zudem stellte das zuständige Innenministerium fest: „Auch wenn zum Zeitpunkt der Erstellung der Gefahrenprognose keine Anmeldung für einen Fanmarsch vorlag, rechnete die Polizeidirektion Leipzig damit und stellte sich darauf in der Einsatzvorbereitung ein.“ 
Die Polizei rechnete also mit einem ganz normalen Bundesligaspiel. Eine Erklärung für das massive Auftreten und die willkürliche Gewaltanwendung der Polizei kann man anhand der (polizeilichen) Gefahrenprognose nicht erkennen

 

2. Die Ausrüstung der Polizei 

Auf die Nachfrage, wieso die Gästefans bei Ankunft am Hauptbahnhof Leipzig von behelmten Beamt*innen empfangen wurden, antwortet die Sächsische Staatsregierung: „Bei der Ankunft der Gästefans am Hauptbahnhof Leipzig benötigte die Bundespolizei zur Lagebewältigung Unterstützung, die durch die sächsische Polizei gewährleistet wurde. Im Rahmen der Unterstützungsanfrage war bekannt geworden, dass es zum Bewurf von Einsatzkräften gekommen sein soll, weshalb die Einsatzkräfte Schutzhelme trugen.“ Darüber hinaus gehöre die offen vor Ort getragene „Mehrzweckpistole“ zur Standardausrüstung der Einsatzeinheiten. Eine Begrifflichkeit, welche vielmehr ein Euhpemismus zu sein scheint, denn die Mehrzweckpistole ist schlicht der Granatwerfer HK69A1 von der Firma Heckler & Koch diese militärische Ausrüstung kann auch(!) 40mm GS/CN-Gas-Patronenen verschießen. 

 

So weit, so problematisch. Während eine militärisch anmutende Pistole für die Polizei Sachsen ganz normal zu sein scheint, verstrickt sie sich in der Erzählung von dem „Bewurf von Einsatzkräften“ in  Widersprüche. Denn ein angebliches Bewerfen der Einsatzkräfte konnte von keinem der Fans vor Ort wahrgenommen werden. Dies spricht dafür, dass der Umfang des Bewurfs (soweit er denn wirklich stattgefunden hat) verschwindend gering gewesen sein muss. Der hier auftretende Widerspruch zu der ausufernden Gewalt seitens der Polizei kann auch an dieser Stelle nicht aufgelöst werden. Gehen wir also über zum nächsten Punkt, der für die Auflösung des Oster-Rätsels erst einmal vielversprechend klingt.

3. Die vermeintlichen Straftaten durch St. Pauli-Fans

Aus den Antworten des Innenministeriums lässt sich Folgendes ableiten: Insgesamt sechs Menschen wurden im Rahmen des Einsatzes einer Identitätsfeststellung unterzogen, davon eine Person wegen des Vorwurfes einer versuchten Tätlichkeit gegenüber der Polizei. Der konkrete Fall ist uns als Fanhilfe bekannt, er geschah während einer Personalienaufnahme und der Anwendung sogenannten „unmittelbaren Zwangs“ sprich unter der Einwirkung von Gewalt durch Polizist*innen. Entsprechende Vorwürfe von Tätlichkeiten gegen die Polizei wurden in der Vergangenheit gerne genutzt, um das eigene übermäßige Anwenden von Gewalt zu rechtfertigen. Zwei Personen wurden darüber hinaus identifiziert, weil sie Sticker verklebt haben sollen und drei Personen aufgrund von zurückliegenden Vorwürfen aus Hamburg. 
Das heißt also, dass von sechs Sachverhalten zwei (die Sticker) völlig ungefährlich und nebensächlich waren und drei bereits länger zurücklagen und eigentlich in den Aufgabenbereich der Polizei Hamburg fallen. Es bleibt nur ein einziger Vorwurf, der aktuell war und in Verbindung mit dem gewaltvollen Vorgehen der Polizei stehen könnte. Hinzukommen drei Vorwürfe im Hinblick auf Sachbeschädigung und Diebstahl von geringwertigen Gegenständen. Die Vorfälle im und am Stadion beziehen sich auf Situationen, die vor Ort unter kleinen Gruppen vorgefallen sind, sodass sie in die Bewertung des Vorgehens gegen die große Menge der Fans nicht einzubeziehen sind. Die Frage, ob das Vorgehen der sächsischen Polizei verhältnismäßig war, kann nun also ganz klar beantwortet werden: Nein, war es nicht! 

Nach Auswertung aller Antworten rund um den Spieltag kann festgestellt werden, dass keine Anhaltspunkte vorliegen, die den gezielten und gewaltvollen Angriff der sächsischen Polizei auf eine große Anzahl von St. Pauli-Fans erklären. Die An- und die Abreise verliefen auch den Darstellungen der sächsischen Polizei zufolge friedlich und unaufgeregt. Nur vereinzelte ungefährliche Vorwürfe ändern nichts an dieser Tatsache. 

 

4. Der angewendete unmittelbare Zwang

Nach den Schilderungen des Sächsischen Innenministeriums waren ca. 270 sächsische Beamt*innen im Einsatz, wovon 60 sächsische Einsatzkräfte die Bundespolizei am Bahnhof unterstützen. Sechsundzwanzig Fälle von Gewaltanwendung durch die Polizei Sachsen wurden im Zusammenhang mit der An- und Abreise durch das Innenministerium dokumentiert. Sechsundzwanzig St. Pauli-Fans, die Schmerzen erleiden mussten und der Gefahr von körperlichen Verletzungen ausgesetzt waren oder diese tatsächlich erleiden mussten. Sechsundzwanzig Personen, die den behelmten und bewaffneten Einsatzkräften schutzlos ausgeliefert waren. Und das sind nur die Fälle, in denen die sächsische Polizei (nachweislich) gehandelt hat. Dazu kommen noch die Gewaltanwendungen der Bundespolizei, welche die Regierung in Sachsen selbst nicht aufgezeichnet hat. 

Außerdem ist weiterhin unerklärt, wieso Beamt*innen die Fans des FC St. Pauli bspw. mit Worten wie „Scheiß St. Pauli“ oder als „antideutsches Gesocks“ beleidigten. Die entsprechende Anfrage blieb unbeantwortet, eine grundsätzliche politische Einordnung des Gesagten unterblieb. 

Es bleiben somit mindestens sechsundzwanzig Fälle von körperlicher Gewalt gegen unschuldige Fans, gegen die zu keinem Zeitpunkt dokumentierte Vorwürfe vorlagen. Liebe Polizei Sachsen, das sind sechsundzwanzig Fälle zu viel!

 

Soll Polizeigewalt vertuscht werden? 

Auch wenn schlussendlich die Unverhältnismäßigkeit des Vorgehens der sächsischen Polizei festgestellt werden kann, ist der Grund für dieses Vorgehen nach wie vor offen. Die parlamentarischen Anfragen zeigen, dass Teile des Sächsischen Landtags das Vorgehen der Polizei an diesem Spieltag nicht gutheißen. Die Reaktion des Sächsischen Innenministeriums hingegen bleibt aus. Ein Eingeständnis oder eine Aufarbeitung ist nicht in Sicht, interne disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen die verantwortlichen Polizist*innen wurden nicht ergriffen.

Die Braun-Weisse Hilfe fordert das zuständige Innenministerium dazu auf, eine weitergehende lückenlose Aufarbeitung anzustreben und die Ausschreitungen seitens der Polizeibeamt*innen nicht ungeahndet zu lassen. Polizeiliches Fehlverhalten muss in einem demokratischen Rechtsstaat aufgearbeitet und geahndet werden. Fußballfans sind keine Objekte polizeilicher Willkür und Gewalt, sondern mündige Bürger*innen!

Fanrechte sind und bleiben Bürger*innenrechte St. Pauli hält zusammen!

Braun-Weisse Hilfe | April 2025